Gefühle wahrnehmen – wie geht das?

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Gefühle wahrnehmen – wie geht das?

Boah, was ist denn mit mir los? Warum kanns mir nicht einfach gut gehen? Irgendwie ist alles durcheinander in mir!

Sind das Sätze, die du auch von dir kennst? Oft stecken hinter solchen Aussagen Emotionen und Bedürfnisse, die von dir (noch) nicht genauer wahrgenommen werden können und so zu einem emotionalen „Durcheinander“ führen.

Gefühle sind komplexe Erlebensweisen, welche durch innere oder äußere Reize entstehen. Sie umfassen unsere Gedanken (Bewertung der Situation), körperliche Reaktionen (z. B. erhöhte Herzfrequenz, Druck auf der Brust) sowie unser Verhalten (z. B. Gestik, Vermeidungsverhalten).

Gefühle entstehen durch die gedankliche Bewertung einer Situation, z. B. denkt sich Lisa „der Michel schaut aber grimmig, ich habe bestimmt etwas falsch gemacht“ als er den Pausenraum betritt. Dies löst Angst bei Lisa aus. Peter hingegen sieht Michel und denk sich „Oh man Michel kann zieht durch sein grimmiges Gesicht immer die Stimmung runter, was fällt dem ein?“. Er verspürt Ärger. Ein und dieselbe Situation können demnach je nach eigenen Werten bzw. Grundannahmen über sich und die Welt, unterschiedliche Emotionen auslösen (Ellis, 1962).

Gefühle sind extrem wichtig und haben verschiedene sinnvolle Funktionen. Auch wenn „negative“ Emotionen sich unangenehm anfühlen, helfen Sie uns dabei unser Leben nach unseren Bedürfnissen auszurichten. Durch Emotionen können wir Situationen schnell einzuschätzen (Angst > gefährliche Situation), sie liefern uns Informationen über aktuelle Bedürfnisse (Traurigkeit > Bedürfnis nach sozialer Bindung) und vermitteln diese unserem Gegenüber (mittels Mimik, Gestik, Klang der Stimme). Emotionen geben außerdem Identität (z. B. Interessen, Vorliegen, Abneigungen) und motivieren uns unseren Bedürfnissen nach zu handeln (Levenson, 1999).

Doch warum ist es wichtig eigene Emotionen wahrzunehmen und diese benennen zu können?

Dafür müssen wir zunächst zwischen primären und sekundären Emotionen unterscheiden. Während ein primäres Gefühl unser Bauchgefühl ist und wichtige Hinweise auf zugrundeliegende Bedürfnisse gibt, dient ein sekundäres Gefühl dazu das primäre zu ‚überdecken‘, wenn wir dieses schlecht aushalten können. Beispielsweise fühlt Timo kurz Ärger wegen einer unfairen Behandlung seiner Chefin, denkt aber „wenn ich jetzt Ärger zeige, dann werde ich bestraft“, und empfindet Angst und sagt nichts. Während primäre Emotionen angeboren sind und auf menschliche Grundbedürfnisse (Bedürfnis nach Bindung, Sicherheit, Kontrolle, positivem Selbstwertgefühl, Lustgewinn) hinweisen, sind sekundäre Emotionen erlernt und ein Bewältigungsversuch. Leider sind sekundäre Gefühle und ihre Verhaltenskonsequenzen oft nicht hilfreich darin das zugrundeliegende Bedürfnis zu erfüllen. Sekundäre Gefühle sind viel mehr gelernte Reaktionen aus ungünstigen, prägenden Situationen (Auszra et al. 2017).

Um zugrundeliegende Bedürfnisse zu befriedigen und so langfristig eine psychische Gesundheit sicherzustellen, ist es demnach wichtig primäre Gefühle wahrzunehmen. Hier findest du deshalb drei Tipps deine Gefühle in Zukunft besser wahrnehmen zu können:

  1. Finde Worte für was du fühlst!

Freude, Angst, Ärger, Ekel, Trauer und Überraschung sind laut Ekman et al. (1983, 1992) die Basisemotionen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Unteremotionen und Mischformen. Nehme dir Zeit und recherchiere im Internet nach passenden Worten für das was du fühlst.

  1. Nehme dir Zeit Emotionen spüren zu können – Emotionsbezogene Klärung (s. Eismann, 2021)

Du hast was gespürt, kannst aber nicht genau einordnen welches Gefühl es war? Dann nehme dir einen Moment Zeit, schließe die Augen und gehe die Situation noch einmal durch. Lasse das Bild und alles, was du in diesem Moment gespürt hast, innerlich auftauchen. Dabei hilft es oft sich Einzelheiten der Situation wieder vorzustellen: Was hast du gehört? Was gerochen? Was hast du gesehen? Wie hat sich dein Körper angefühlt? Wenn du nun achtsam die Situation wahrnimmst, dann stelle dir die folgenden Fragen: Welcher Gedanke geht mir durch den Kopf, wenn ich mich so fühle? Was möchte ich spontan tun, wenn ich mich so fühle? Wie hat mein Körper in der Situation reagiert? Was brauche ich, wenn ich mich so fühle? Gibt es eine Emotion, die alle Antworten der Fragen erklärt?

  1. Umgang mit Hochanspannungssituationen (s. Eismann, 2021)

Stelle dir vor du kannst deine allgemeine emotionale Anspannung auf einer Skala von 1 – 100 % einschätzen (100 % = maximale Anspannung). Studien zeigen, dass ein klares Denken im Bereich zwischen 70 – 100 % nicht mehr möglich ist. Dadurch können wir unsere Emotionen nicht mehr rational wahrnehmen oder regulieren und wir reagieren oft automatisch und nur unbedingt bedürfnisorientiert. Es ist daher wichtig, dass wir durch sogenannte Skills (Ablenkungstechniken) in eine emotionale Anspannung von unter 70 % kommen, um eine sinnvolle Emotionswahrnehmung wieder zu ermöglichen. Skills können alles Mögliche sein, wie zum Beispiel gedankliche Ablenkung (z. B. Getränke mit Anfangsbuchstaben des ABCs aufsagen), harmlose Schmerzreize (z. B. ‚Heißer Stuhl‘ an der Wand, Gummiband am Handgelenk), körperliche Aktivität (z. B: Sport, Liegestützen, spazieren gehen).

 

 

Auszra, L., Herrmann, I. R., & Greenberg, L. S. (2017). Emotionsfokussierte Therapie: Ein Praxismanual. Hogrefe, Göttingen.

Eismann, G. (2021). Emotionsregulation: 75 Therapiekarten. Beltz, Weihheim.

Ekman, P. (1992). Are there basic emotions? Psychological Review, 99(3), 550-553.

Ekman, P., Levenson, R. W., & Friesen, W. V. (1983). Autonomic nervous system activity distinguishes among emotions. Science, 221, 1208-1210.

Ellis, A. (1962). Reason and emotion in psychotherapy. New York: Lyle Stuart.

Levenson, R. W. (1999). The Intrapersonal Functions of Emotion. Cognition and emotion, 13(5), 481-504.

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