Im Notfall: Wie gehe ich mit einem Suizid in meinem Umfeld um?

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Wie gehe ich mit einem Suizid in meinem Umfeld um ?

Schock, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Wut, Einsamkeit, paradoxe Gefühle, innere Leere, … Das alles zu erleben ist nicht ungewöhnlich, nachdem man von einem Suizid im eigenen Umfeld erfahren hat. Häufig beschäftigen sich die eigenen Gedanken zudem um das Warum und hinterlassen ein großes Gefühl der Ratlosigkeit. Diese Ratlosigkeit überträgt sich oft auch auf den eigenen Umgang mit diesem belastenden Ereignis. Nachfolgend haben wir dir deshalb einen kurzen Überblick über psychische Belastungsreaktionen sowie funktionale Coping-Strategien zusammengefasst. 

Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 10 000 Personen an einem Suizid (Statistisches Bundesamt, 2023). Die Frage nach dem „Warum“ beschäftigt viele Wissenschaftler:innen, Psychotherapeut:innen aber vor allem Hinterbliebene und Bekannte der verstorbenen Person. Der Trauer- und Bewältigungsprozess der Hinterbliebenen nach einem Tod durch Suizid unterscheidet sich qualitativ von einem „natürlichen“ Tod. Häufig ist dieser von intensiven Trauergefühlen geprägt, aber auch andere, gemischte Gefühle werden von Hinterbliebenen berichtet (Shields et al., 2016).

Alle Gefühle sind normal

So spielen nach dem Tod durch Suizid häufig Schuldgefühle eine Rolle (Harwood et al., 2002). Hinterbliebene stellen sich die Frage, ob sie die Situation und Person nicht richtig ernst genommen haben, der Person nicht nahegenug gewesen sind oder ob ein vorangegangener Konflikt möglicherweise der Auslöser gewesen ist. Wichtig dabei ist zu wissen, dass die meisten Personen ihre eigene Rolle und Einflussmöglichkeit deutlich überschätzen (Winter et al., 2005) und in den allermeisten Fällen keine Verantwortung auf die Hinterbliebenen zurückfällt.

Neben Trauergefühlen und Schuld sind auch Gefühle von Ärger und Wut ganz normal (Shields et al., 2016). Gerade in den ersten Monaten nachdem eine Person an einem Suizid verstorben ist, berichten Hinterbliebene oft von Wutgefühlen. Wut darüber, dass so viele Fragen offengeblieben sind, dass der Mensch „einfach gegangen“ ist und keine offenen Angelegenheiten mehr geklärt werden können. Es ist normal diese Gefühle zu haben, die meist vor allem starke Trauergefühle überschatten. Es ist wichtig und okay diese Gefühle anzuerkennen und auszusprechen (Winter et al., 2005). Sie bedeuten nicht, dass man nicht gleichzeitig um die verstorbene Person trauert.

Während manche Personen viele verschiedene intensive Emotionen spüren, spüren andere „nichts“. Emotionale Taubheit, ein Leeregefühl, keine Worte zu finden sind Reaktionen, die genauso normal sind wie starke Gefühle (Shields et al., 2016). Häufig ist eine emotionale Taubheit als Art Schockzustand zu verstehen, in der man auf einen Modus des Autopiloten fährt. Dieser Mechanismus unserer Psyche hat die Funktion uns „manövrierfähig“ zu halten, durch Situation extremer Belastung und Stress „durchzukommen“ (Litz et al., 2002). Durch die emotionale Taubheit können letztlich zusätzliche Schuldgefühle ausgelöst werden, da man „anders“ trauert, als das gesellschaftlichen Bild von einem erwartet (weinen, über Gefühle sprechen,  ..; Winter et al., 2005). Wichtig zu wissen ist, dass jeder Mensch individuell trauert. Es gibt keine eine richtige Art der Trauer. Emotionale Taubheit sagt nichts über die emotionale Bindung zu der verstorbenen Person aus.

Was kann ich tun, um meinen ganz individuellen Weg zu finden, wie ich mit einem Suizid in meinem Umfeld umgehen kann?

1. Selbstfürsorge

Der Tod durch einen Suizid im eigenen Umfeld wird häufig als traumatisches Ereignis wahrgenommen. Die emotionale Bewältigung traumatischer Ereignisse kostet uns viel Kraft und Energie. Psychotherapeutischen Grundtheorien nach (Vulnerabilitäts-Stress-Modell) ist es daher essenziell, dass wir in Zeiten besonderer Anforderungen darauf achten, dass wir mittels wohltuender Aktivitäten dafür sorgen unsere Energiespeicher wieder aufzufüllen. Leider gibt es hier kein Patentrezept. Wohltuende Aktivitäten sind sehr individuell – während der einen Person Sport guttut, benötigt die andere eine Zeit, in der sie die Decke über den Kopf zieht. Positive Aktivitäten sind außerdem nicht zeitstabil – nur weil uns etwas früher gutgetan hat, heißt das nicht, dass es immer so bleibt. Achte also darauf, was tut dir gerade im Moment gut. Probiere verschiedenes auf und achte auf dich. Bitte beachte dabei, dass die Aktivitäten aktuell nicht „Spaß und Freude“ machen müssen, sie sollen dir vor allem etwas neuen Wind und Energie geben, durch diese schwierige Situation zu kommen. Falls du gerade das Gefühl, hast, dass dir nichts einfällt, was dir Energie schenken könnte, dann suche im Internet nach „positive Aktivitätenliste“ und lasse dich inspirieren.

2. Sprich mit Bezugspersonen über deine Gefühle

Leider ist das Thema Suizid in unserer Gesellschaft noch immer ein großes Tabu. Dies geht zum einen mit vielen stigmatisierenden Annahmen über Verstorbene als auch Hinterbliebene einher, zum anderen besteht dadurch aber auch eine große Verunsicherung im Umgang mit Hinterbliebenen bei einem Großteil der Bevölkerung. Dadurch erleben betroffene Personen häufig, dass sich Bezugspersonen zurückziehen oder den Kontakt sogar meiden (Winter et al., 2005). Dies kann als Ablehnung interpretiert werden. Dennoch ist der Austausch über das eigene emotionale Erleben und die eigenen Gedanken mit engen Bezugspersonen wichtig, um das Gefühl der Isoliertheit und Einsamkeit zu reduzieren. Es kann helfen die eigene Unsicherheit anzusprechen und gemeinsam eine eigene, neue Sprache für das Geschehene zu entwickeln (Ross et al., 2019). Weite zudem den Kontakt mit den Personen aus, die dir Hilfe und Unterstützung anbieten.

3. Wende dich an Selbsthilfeorganisationen oder professionelle Unterstützung

Falls du keine Person in deinem Umfeld hast, mit der du über dein Erleben sprechen kannst oder du dir vorstellen kannst, dass dir der Austausch mit anderen betroffenen Personen guttut, dann wende dich vertrauensvoll an Selbsthilfegruppen. Es konnte gezeigt werden, dass der Austausch mit anderen Betroffenen zu einer relevanten Reduktion der psychischen Belastung führen kann (O’Conner et al., 2023). So biete zum Beispiel die Organisation ADUS e.V. verschiedene Unterstützungsangebote für Suizidtrauende Personen bundesweit an – von telefonischer Beratung, über Selbsthilfegruppen bis hin zu Seminaren.

Generell ist wichtig zu wissen, dass das emotionale Erleben nach einem Suizid im Umfeld über längere Zeit belastet sein kann – das ist zwar anstrengend, aber ganz normal und nicht gefährlich. Falls du aber darüber hinaus etwa vier Wochen nach dem Ereignis noch weiter, das Gefühl hast, dass deine Gefühle unverändert überbordend sind und es dir nicht oder kaum möglich ist deinen Alltag zu bestreiten, dann wende dich bitte an professionelle Therapiemöglichkeiten für eine detailliere Diagnostik deiner Belastung. Möglichkeiten dafür sind ein erstes Gespräch mit deinem oder deiner Hausärzt:in, eine ambulante Psychotherapie, Behandlungen in der ortsansässigen Psychiatrie oder Psychosomatik. Hier findet eine professionelle Diagnostik deiner psychischen Belastung statt und adäquate Unterstützung kann eingeleitet werden.

4. Umgang mit eigenen Suizidgedanken

Im Rahmen außerordentlicher Belastungen können schwere psychische Belastungssymptome auftreten – Suizidgedanken sind eines dieser Symptome. Falls du von Suizidgedanken betroffen bist, dann wende dich bitte vertrauensvoll an deinen/ deine Hausärzt:in, Psychotherapeut:in, Psychiater:in. Falls du unter von aufdrängenden Suizidgedanken leidest, von denen du kaum Abstand nehmen kannst, dann rufe bitte entweder den Notarzt oder die zuständige Psychiatrie an. Außerdem kannst du dich an das Hilfetelefon unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 wenden. Mehr Informationen gibt es auf https://suizidprophylaxe.de

Disclaimer: Der Erste Hilfe Kasten ersetzt keine professionelle Unterstützung, wenn es dir nicht gut geht! Nichts ist so wertvoll wie ein persönlicher Kontakt zu einer lieben Freundin, einem verständnisvollen Kollegen oder einer Therapeutin. Bitte wende dich an ein Hilfetelefon unter 0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 oder einen psychologischen Notfalldienst, wenn du depressive oder Suizidgedanken bei dir oder anderen erlebst. Mehr Informationen gibt es auf https://suizidprophylaxe.de

Literatur

Harwood, D., Halton, K., Hope, T., Jacoby, R. (2002). The grief experiences and needs of bereaved relatives and friends of older people dying through suicide: A descriptive and case-control-study. Journal of Affective Disorders, 72, 185-194.

Litz, B. T., & Gray, M. J. (2002). Emotional Numbing in Posttraumatic Stress Disorder: Current and Future Research Directions. Australian & New Zealand Journal of Psychiatry, 36(2), 198-204.

O’Conner, S., Troya, M. I., Arensman, E., & Griffin, E. (2023). “That feeling of solidarity and not being alone is incredibly, incredibly healing”: A qualitative study of participating in suicide bereavement peer support groups, Death Studies, 1-11.

Ross, V:, Kolles, K., De Leo, D. (2019). Exploring the Support Needs of People Bereaved by Suicide: A Qualitative Study. Journal of Death and Dying, 82(4).

Shields, C., Kavanagh, M., Russo, K. (2016). A qualitative systematic review of the bereavement process following suicide. Journal of Death and Dying, 74(4).

Statistisches Bundesamt (2023, 23. Juli). Todesursachen – Suizide (abgerufen am 23.07.2023).

Winter, S., Brockmann, E., & Hegerl, U. (2005). Die Situation Hinterbliebener nach Suizid. Verhaltenstherapie, 15(1), 47-53.

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